Herr B. hat recht.

Neulich saß ein 92-Jähriger Mann bei mir in der Ordination. Er ist langjähriger Stammpatient, leidet unter etwas erhöhtem Blutdruck, ist aber sonst sehr gut beisammen. Klar im Geist und noch immer voller Tatkraft blitzt ihm der Schalk aus den Augen und er hat immer ein Scherzwort parat. Hin und wieder kommt Herr B. vorbei, um sich bei mir als seinem Internisten Rat und Rezepte zu holen. Eigentlich aber kommt er, um sich seine bestens erhaltene Gesundheit bestätigen zu lassen. Das tut ihm gut. Wir tratschen dabei immer auch ein bisschen über die Politik und das Zeitgeschehen. Seine Urteilskraft gefällt mir, er versteht es, die Zusammenhänge zu erkennen und meist hat er ein Bonmot für die diversen Ereignisse.

 

Doch diesmal war es anders. Als wir begannen, über die Migrationskrise zu sprechen, hielt Herr B. plötzlich inne und schaute mich mit Tränen in den Augen an. "Herr Doktor, was da jetzt passiert, das begreifen wir Alten nicht mehr. Es geht über unseren Horizont. Und wir haben viel mitgemacht, Sie wissen es. Wir mussten noch in den Krieg ziehen, wir haben nach dem großen Schrecken das Land wieder aufgebaut, wir haben uns bemüht, für unsere Kinder und Enkerln etwas zu schaffen und wir haben drauf geschaut, dass es allen in Österreich gut geht. Und jetzt kommen diese hunderttausenden Fremden aus einem anderen Erdteil und unsere Regierung ruiniert einfach so unser Land und verschenkt unser Geld."

 

Er seufzte, schüttelte den Kopf, nahm sich ein Taschentuch und erzählte danach weiter.

 

"Wissen Sie, wie traurig das für uns Alte ist? Ich kann es Ihnen gar net sagen, wie tief uns das trifft und wie enttäuschend es für einen alten Mann ist, der Jahrzehnte am Aufstieg Österreichs mitgearbeitet hat. Das kann sich doch alles nicht ausgehen, was da jetzt passiert, dafür brauch i net studiert haben. Freilich gibts  arme Flüchtlinge, denen wir helfen sollen. Aber was da seit Monaten geschieht, das ist einfach nicht richtig. Da wird doch Schindluder mit uns getrieben, dass es auf keine Kuhhaut mehr geht. Hab ich recht, Herr Doktor?"

 

Ich gab ihm recht.

 

 

 

 

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