Das Wahlrecht neu denken

Kürzlich gab es an dieser Stelle Denkanstöße,  wie man das Wahlrecht verändern könnte. Gar nicht wenige Blog-Leser haben konstruktiv mit mir nachgedacht und mir ihre Ideen und Meinungen dazu mitgeteilt. Andere wiederum (darunter etliche Journalisten) haben versucht, mir einen Angriff auf demokratische Grundrechte zu unterstellen.

 

Weit gefehlt. Mir geht es um die Weiterentwicklung der Demokratie. Anderen geht es bei ihrer Kritik offenbar um etwas Anderes: Was von einer medial lancierten und gesinnungspolizeilich geprägten Art des Umganges mit nicht in den linken Mainstream passenden politischen Meinungen zu halten ist, habe ich in einem rezenten Blogpost bereits dargelegt. 

 

Natürlich gehe ich von meinen Vorschlägen nicht ab - sie waren gut überlegt und sind begründbar. Wenn man über objektivierbare und sinnvolle Neuerungen des Wahlrechts nachdenkt, sollte man sich von Leuten, die in der Sache nicht firm, dafür aber von sich selbst und ihrer Haltung umso mehr überzeugt sind, nicht irritieren lassen, sondern den aufgenommenen Faden weiter spinnen und freilich auch gute Anregungen annehmen. Die zuweilen recht echauffierten Damen und Herren aus dem konträren Meinungslager sind von meiner Seite aus weiterhin herzlich eingeladen, mit mir über das Wahlrecht zu debattieren.

 

Zum Thema: Das bei uns gelebte One-man-One-Vote-Prinzip ist zwar alt, aber im Ursprungsland der Demokratie nicht bekannt gewesen. In der vielbesungenen Wiege der Demokratie (nämlich in der attischen) gab es unterschiedlich gewichtete Stimmrechte und eine Menge Menschen, die bei den politischen Entscheidungen gar nicht mitstimmen durften. Das kann man alles nachlesen, die Details dazu würden hier den Rahmen sprengen. Aber es ist wichtig zu wissen, dass gerade die Demokratie in ihrer Urform von einem ganz anderen Verständnis als heute getragen wurde und über die Zeitläufte auch deutlichen Änderungen unterworfen war und dies natürlich noch immer ist.

 

So ist das verfassungsmäßig garantierte Wahlrecht in seiner heutigen Form weder in Stein gemeisselt noch ist es eine unveränderliche Naturgewalt. Und es muss daher die Überlegung möglich sein, ob dieses Recht nicht an die jeweils bestehenden Pflichten des Wählers gegenüber der Gesellschaft anzupassen ist und ob es nicht auch mit seiner jeweiligen intellektuellen Kompetenz abgeglichen werden sollte.

 

Zweifellos trägt jemand, der sehr viel Steuern und Beiträge zahlt, zur Finanzierung und Aufrechterhaltung des Gemeinwesens mehr bei als jemand, der staatlich alimentiert wird und nicht arbeitet. Das ist eine triviale Wahrheit. Und warum sollte jemand, der sehr viele Abgaben leistet, keine gewichtigere Stimme haben als ein Bürger, der durch den Staat und seine Einrichtungen finanziert wird? Die Situation, dass der Alimentierte völlig gleichberechtigt über seinen Unterstützer bestimmt, ist nicht bis zu Ende gedacht, auch wenn das "allgemeine und gleiche Wahlrecht" wunderbar menschenwürdig und sozial gerecht klingen mag. Im Grunde stärkt es in seiner jetzigen Form tendenziell immer die an der Umverteilung interessierten Linken.  Es erzeugt daher eine Schieflage.

 

Um die Situation zu optimieren, wäre für Nationalrats- und Landtagswahlen ein Punkte-Wahlrecht vorstellbar, das abhängig von der Steuerklasse und der Bemessungsgrundlage adjustiert wird. Wer in der höchsten Steuerstufe ist, bekommt die meisten Stimmpunkte. Wer keine Steuern zahlt, bekommt den Basispunkt. Bei den aktuell 7 Lohnsteuerklassen könnte man eine Basisklasse schaffen und danach je zwei Steuerklassen zusammenfassen. Wir hätten dann abhängig von der jährlichen Steuerleistung folgende Stimmpunkte pro Bürger:

  • Keine Lohnsteuerleistung: 1 Punkt
  • Einkommen bis 31.000.- Euro: 2 Punkte
  • Einkommen bis 90.000.- Euro: 3 Punkte
  • Einkommen ab 90.000.- Euro: 4 Punkte

Die Idee des Punkte-Wahlrechts kann man sofort weiter entwickeln: So wie es ein gewichtetes Stimmrecht geben sollte, müsste auch die Möglichkeit bestehen, in der Wahlzelle nicht nur ein Kreuzerl, sondern Punkte zu vergeben - und zwar Plus- und Minuspunkte. Man muss beim Punktewahlrecht nicht zwischen ja und nein unterscheiden, sonder kann ein differenziertes Bild abgeben und alle antretenden Listen und Kandidaten bewerten. Eine Bandbreite zwischen -2 und +2 Punkten wäre dafür sinnvoll. Konkret könnte das bei einer Wahl dann beispielsweise so aussehen:

  • Kandidat A: +2
  • Partei B: -2
  • Kandidat C: 0
  • Partei D: +1

Natürlich klingt das auf den ersten Blick aufwendig und kompliziert. Aber es besteht ja kein Zweifel daran, dass in nicht allzu ferner Zukunft das e-voting kommen wird. Man wird dann Wahlzellen haben, in denen man elektronisch abstimmen kann. Und da ist es technisch ein Klacks, das Punktesystem einzuführen. Voraussetzung ist natürlich die Datensicherheit, aber auch das wird lösbar sein.

 

Die einzige Ausnahme zum Punktewahlrecht würde die Bundespräsidentenwahl darstellen. Hier belässt man alles, wie es ist: One Man, one Vote, Direktwahl, jeder Bürger hat eine Stimme mit demselben Gewicht. Warum: Der Präsident ist die Symbolfigur der Nation und weder gesetzgebend noch exekutiv tätig.

 

Differenzierte Wahlrechtssysteme stellen an den Wähler aber auch höhere Anforderungen als das simple Ja/Nein-Wählen, das wir jetzt haben und das nur den Spielraum zwischen dem Kreuzerl, ungültig wählen oder gar nicht wählen offen lässt. Und natürlich ist zu fordern, dass jeder Wahlberechtigte auch seine Wähler-Kompetenz unter Beweis stellt.

 

Ein "Wähler-Führerschein" ist dafür ideal. Jede Person, die das wahlfähige Alter erreicht, muss, wenn sie wählen gehen will, eine Prüfung ablegen, in der die wichtigsten Eckdaten unserer Demokratie abgefragt werden. Eine Wahlfähigkeits-Prüfung muss natürlich kein Matura-Niveau haben, aber sie sollte z.B folgende grundlegende Fragen beinhalten:

  • Wie viele Parteien sind derzeit im Parlament vertreten?
  • Welche Partei ist in der Regierung?
  • Wie heisst der Bundeskanzler und welcher Partei gehört er an?
  • Wie viele Abgeordnete gibt es?

Auch für die Teilnahme an direktdemokratischen Verfahren wie Volksbefragungen und Volksabstimmungen sind die Voraussetzungen der Wahlfähigkeit zu beweisen.  Mündigen Menschen ist es zumutbar, die grundlegenden Daten unseres Staates zu wissen. Es ist sogar eine Wertschätzung dem Wähler gegenüber, wenn man ihn sein Wissen offiziell beweisen lässt und dies amtlich bestätigt.

 

Wer Demokratie sagt, muss Veränderung wollen. Es reicht nicht, ständig auf wohlerworbene Rechte und Errungenschaften zu pochen und dabei die Pflichten aus den Augen zu verlieren oder gar zu vernachlässigen. Und gerade im Sinne einer lebendigen repräsentativen Demokratie wie der unseren muss man die realen Verhältnisse besser abbilden. Freilich muss man bei Überlegungen zum Wahlrecht immer auch über eine Ausweitung der direkten Demokratie nachdenken. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Georg H (Freitag, 21 Oktober 2016 11:29)

    Ich finde den Ansatz die ESt Bemessungsgrundlage, also die Steuerklasse mit dem Wahlrecht zu junktimieren hochinteressant und motivierend. Man könnte auch argumentieren, dass im Umkehrschluss, also ausgehend vom Wahlrecht (one person - one vote) auch nur eine Steuerklasse denkbar wäre (one person - one tax) wie es unser Nachbarland Slovakei mit gutem Erfolg praktiziert. Im Kontext einer flat tax ist dann ein unterschiedliches Gewichten von Wahlstimmen schon schwerer zu argumentieren als bei uns.
    ceterum censeo: one person - one vote ist derzeit noch Utopie, 1,4 Millionen Österreichischen Bürgern und Bürgerinnen wird das Wahlrecht auf Grund ihres Alters nach wie vor vorenthalten.

  • #2

    helmut-1 (Freitag, 21 Oktober 2016 11:51)

    Es ist schon äußerst nachdenkenswert, diese Änderung des Wahlprinzips.

    Auch die "Legitimation" zur Wahl ist berechtigt, - wenn man sich so die Umfragen zu politischen Themen bei Otto Normalo auf der Straße anhört. Welches gerafftes Unwissen da manchmal mitspielt, - da stellt sich wirklich die Frage, warum die zur Wahl gehen und ob die überhaupt wissen, wen oder was sie da wählen.

    Das Problem bei dem Punktesystem: Man kriegt nicht alles unter einen Hut, wo man das Konzept dann als fair bezeichnen kann. Es sei denn, es gibt noch weiterführende Ideen.

    Beispiele:
    - Das mit den Kindern ist dadurch erledigt, - das paßt hier gar nicht rein.

    - Was ist mit den Pensionisten? Leute, die sich das ganze Leben abgerackert , auch gut verdient haben, aber nun kaum mehr Steuern bezahlen?

    - Was ist mit anderen (ehemals) Berufstätigen, die aufgrund eines Arbeitsunfalles in die Berufsunfähigkeit gekommen sind?

    - Was ist mit denen (zumeist Frauen), die sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern bewusst waren und auf die Ausübung ihres erlernten Berufes verzichtet, dafür aber ihre Kinder zu anständigen Menschen und bewußten Demokraten erzogen haben?

    Ich könnte noch mehr anführen. Wie schon gesagt, der Ansatz ist nachdenkenswert. Man muss aber noch viel mehr nachdenken, - wenn es am Ende sowas wie "fair" sein soll.

  • #3

    Georg H (Freitag, 21 Oktober 2016 13:54)

    Das Problem mit der Zeit der Kinderbetreuung ergibt sich aus der Bewertung dieser Tätigkeit durch unsere Gesellschaft allgemein, siehe auch Schlechterstellung der Erziehenden in Bezug auf ASVG und SVG Pension. Für die Familie (wie immer man sich dieses Lebenskonzept vorstellt) könnte hier eine wahlrechtliche Vertretung der Kinder durch die Eltern ausgleichend wirken. Also z. B. im Fall einer alleinerziehenden Mutter:
    vorher 2 Punkte (weil Steuerklasse 2)
    nachher 2 Punkte (1 Punkt Mutter weil jetzt Steuerklasse 1 + 1 Punkt Kind) bei 2 Kindern sogar 3 Punkte

    Es ist auch interessant, dass die Forderung nach einer Wahlzulassungsprüfung immer grosse, geradezu allergische Reaktionen hervorruft, die Strassenverkehrszulassungsprüfung (trotz fragwürdiger Bedeutung immer noch "Führerschein" genannt) aber alle als selbstverständlich akzeptieren. Es scheint also der Strassenverkehr wichtiger zu sein als die aktive Demokratie.

  • #4

    Walter (Samstag, 22 Oktober 2016 22:48)

    Bei jeder zukuenftigen Variante muss man natuerlich die Moeglichkeit einer korrekten und nicht verfaelschbaren Durchfuehrung bedenken. Trotz einem relative einfachen Wahlsystem das wir momentan haben scheinen wir schon mit diesem ueberfordert zu sein. Wie wuerde die Durchfuehrung aussehen wenn viele Inputs differenziert werden muessen und obendrein von Wahl zu Wahl sich sehr wahrscheinlich veraendern ? Wo wuerde die Rolle der Schiedsrichter dabei anfangen und enden ? Viele Fragen . Dennoch finde ich es im Prinzip richtig das die Kraft einer Stimme der individuellen staatstragenden Leistung angepasst werden sollte. Grundvorrassetzung sollte dabei eine Flat Tax Rate fuer jedermann sein. Wahrscheinlich wuerde so ein System Politiker bald von einem ausgepraegten Verhinderungsdrang auf einen Ermoeglichungsdrang umpolen. Dadurch koennte auch die Zahl der generellen Verhinderer und deren Kosten stark gesenkt werden weil es nicht so viele Verhinderungen zum ueberwachen gibt.