Die Mystery Shopper und das verlorene Vertrauen

Wir regen uns zu Recht über die NSA und den Überwachungsstaat auf, wir wollen Datenschutz in jedem Bereich und wir fürchten um Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte.  Die "staatliche Überwachung" ist zum bedrohlichen Unwort geworden. Whistleblower, die unseriöse Überwachungs-Praktiken von staatlichen Institutionen aufdecken, sind die Helden unserer Zeit.

 

Zur selben Zeit aber soll in Österreich ein Sozialgesetz eingeführt werden, welches bestimmten öffentlichen Institutionen, nämlich den Krankenkassen, die Bespitzelung und die persönliche Kontrolle von Bürgern erlaubt: Die Kassen dürfen sogenannte Mystery Shopper in die Ordinationen von Ärzten schicken, um dort die Ärzte zu kontrollieren.

 

Die Mystery Shopper werden in den Praxen auch als Agents provocateurs auftreten. Das heisst konkret: Diese Agenten sollen als sogenannte Testpatienten mit fake-e-cards so tun, als wären sie nur ein bisserl krank, bräuchten aber einen Krankenstand und sie sollen die Ärzte möglichst dazu verführen, ihnen ebendiesen Krankenstand zu verordnen.

 

Tun die Ärzte das, dann werden sie vom Mystery Shopper bei der Kasse angezeigt und laufen Gefahr, ihren Kassenvertrag zu verlieren. Auf den ersten Blick meinen viele: Ja, gut so, da wird Sozialmissbrauch verhindert und allzu großzügige Ärzte werden somit sukzessive umerzogen oder überhaupt ausgeschieden und die Patienten trauen sich dann eh nicht mehr, um vielleicht ungerechtfertigte Krankenstände anzusuchen. Schreibtischtäter und Sozialrechts-Fanatiker scheinen mit diesem Gesetz im Recht zu sein und die Rettung des Sozialstaates ist damit gelungen.

 

Nun möge man sich aber einmal plastisch vorstellen, was dieses Gesetz in der Realität bedeutet: Der gesamte ärztliche Berufsstand samt Patienten hängt vom Grundwert namens "Vertrauen" ab. Ohne Vertrauen ist eine gute, persönliche und professionelle Medizin nicht machbar. Dieser essenzielle Wert wird nun allein durch die Tatsache, dass es diese Mystery Shopper gibt, schon vollkommen pervertiert. Da muss noch gar kein solcher Spitzel in eine Ordination gehen. Allein durch das Faktum, dass eine solche Testpatient-Situation jederzeit passieren könnte, geraten die Ärzte unter Generalverdacht und sie werden sich daher wie jeder Verdächtige benehmen (müssen): Sie werden sich schützen.

 

Was wird geschehen: Ärzte werden allen neuen Patienten gegenüber misstrauisch sein und sowohl bei der Diagnose wie bei der Therapie in einen kontraproduktiven Vorsichts-Modus umschalten. Unklare Fälle werden (weil sie ja Agenten sein könnten)  in Ambulanzen oder zu Fachärzten weiter verwiesen. Niemand wird das Risiko eingehen, einen neuen Patienten, der wegen eines banalen Leidens wie Kreuzweh um eine Woche Krankenstand ersucht, auch krankzuschreiben.

 

Echte Kranke (und seien es auch "nur" leicht Marode) werden eine schlechtere Behandlung bekommen oder eben ins Ambulatorium geschickt, um sich dort krankschreiben zu lassen. Der Bürokratie- und Zeitaufwand für alle Beteiligten (auch und vor allem für die Patienten!) wird steigen, es ist definitiv niemandem geholfen. Im Gegenteil, der vermeintlich verhinderte Missbrauch wird zu vermehrten Leistungen führen und das grundsätzliche Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt wird beschädigt.

 

Abgesehen von der beschriebenen mangelnden Praktikabilität und dem massiven Angriff auf die ärztliche Freiheit und vor allem angesichts der Zerstörung des Vertrauens zwischen Arzt und Patient ist die Idee des "Mystery Shoppers" ganz grundsätzlich zu verurteilen und zu bekämpfen. Der Staat will hier auf eine perfide Weise mit seinen Institutionen in die intimsten Bereiche der Bürger vordringen.

 

Es geht um den Schutz der Arzt-Patienten-Beziehung und es geht vor allem auch um die Bekämpfung einer widerwärtigen Politik des Kontrollierens, Schnüffelns und der Vorverurteilung. Die Soft-Version der DDR-Stasi in Form einer Krankenstands-Geheimpolizei wird da gerade neu erfunden. Wer da nicht an Orwells Animal-Farm und gleichzeitig an dessen "1984" denkt, der hat noch nicht begriffen, wohin die Reise geht: In den totalen Überwachungs- und Kontrollstaat. 

 

 

 

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