Das Medium als Survival-Camp

Politiker und Journalisten haben ein eigentümliches und oft heikles Verhältnis. Sie brauchen einander zum Überleben und haben gleichzeitig auch wechselweise Macht über den jeweils andern. Der Politiker ist dem Medienmenschen ausgeliefert, umgekehrt würde der Polit-Journalist ohne den Politiker ein brotloses Dasein führen.

 

Beide Teile stehen durch diese Gegebenheiten unter Druck. Bekommt ein Reporter im Interview nur nichtssagende Phrasen und Allgemeinplätze geliefert, ist er enttäuscht und dem Interviewten ist die Kritik des Interviewers sicher: Der/die XY wollte nichts Konkretes sagen, das Gespräch war blutleer, es kamen immer dieselben Worthülsen und ewig gleichen Slogans etc., so in etwa lauten die üblichen Reaktionen.

 

Geht aber ein Politiker einmal im Interview aus sich heraus, sagt seine echte Meinung oder liefert er gar einen kantigen Sager, macht der Reporter einen Reisser draus, der dann in den Social Media regelmäßig zum Shitstorm wird. Gewisse Interviewer legen es auch darauf an, den Interviewten um jeden Preis vorzuführen, ihm durch tendenziöse Fragen angreifbare Aussagen zu entlocken oder ihn sonst irgendwie schlecht dastehen zu lassen.

 

Diese gar nicht seltene destruktive Attitüde wird von vielen in der Medienszene sogar als ein Qualitätsmerkmal des Journalismus gesehen. Dabei ist sie vor allem nur eines: eben zerstörerisch, lediglich für den Moment des Interviews von Nutzen und nur dem Voyeurismus des Publikum dienlich.

 

Langfristig bringt diese Technik auch dem betreffenden Reporter nichts, denn wer will schon immer nur das Destruktive? Gewollte Zerstörung und öffentliches Vorführen am Nasenring erzeugen am Ende genau solche Interviews, die nur noch Worthülsen beinhalten. In der Polit-Szene haben gewisse Damen und Herren aus den Medien auf diese Weise schon einen recht zweifelhaften Ruf erlangt: "Vor dem/der XY musst aufpassen, der/die ist echt ungut". Schade, denn das nützt dem in der Demokratie essenziellen Austausch zwischen Medien und Politik sicher nicht.

 

Viele Politiker sagen aus den genannten Gründen in den Medien nie etwas wirklich Brauchbares und nur einzelne Ausnahmeerscheinungen sind in der Lage, konstruktive Aussagen zu tätigen, mit denen sie  hauptberufliche Interview-Zerstörer ins Leere laufen. Diese wenigen Politiker haben begriffen, dass man  gerade mit klaren und fundierten Statements punkten kann. Das wollen aber viele nicht riskieren, weil Mut eben keine primäre Politiker-Tugend ist und vielen auch das Format fehlt oder, milder ausgedrückt, die im Hintergrund bestehenden Klientel-Interessen keine klaren Aussagen erlauben.

 

Dazu kommt noch der ständige Druck, den die diversen Pressesprecher auf „ihre“ Politiker ausüben: sie legen ihnen mit Verve nur diejenigen Verbal-Häppchen in den Mund, die man den Reportern gefahrlos liefern darf. Ein eigenes authentisches  Wording ist nicht gewünscht, die diversen Medienstellen bestimmen den Sprachduktus. Daraus entsteht diese sonderbare politmediale Allianz, die den veröffentlichten Mainstream erzeugt und bestimmt.

 

Diese Situation ist nicht nur für Reporter und Politiker unbefriedigend, sondern vor allem auch für das Publikum. Die Erwartung bei diesem ist immer hoch, ganz einfach weil Politik ein wesentlicher und im Wortsinn bestimmender Teil des Lebens ist. Wenn man als Bürger nur mehr entweder Phrasendrescherei oder auf der anderen Seite irgendeinen Shitstorm geliefert bekommt, verliert man langsam das Interesse an der professionellen Reportage und am professionellen Interview.

 

Am Ende  ist auch das Vertrauen futsch  - sowohl jenes in die Politik wie auch jenes in die traditionellen Medien. Die Bürger weichen daher sukzessive auf die gar nicht mehr so Neuen Medien aus: Facebook, Youtube und Twitter sind die Instrumente, die den Interessierten noch am ehesten die authentischen Meinungen liefern. Über die dort verfügbaren Informationen macht man sich dann sein eigenes Bild.

 

Denn darum geht‘s: Das Publikum will glaubhafte und klar formulierende Politiker und denkende Leute wollen seriöse Journalisten mit objektivem Informationsauftrag. Natürlich sollen und dürfen diese auch mit weltanschaulich klar deklarierter, eigener Meinung an die Öffentlichkeit treten. Der Punkt ist: Man muss sich deklarieren, wenn man publiziert. Kein Mensch mag ständig irgendwelche Phrasen hören oder tendenziöse Berichte lesen. Niemand mag die gekünstelten und moralisierenden Empörungsstürme, die im medialen Labor erzeugt werden. Und schon gar niemand möchte manipuliert werden. Früher oder später wendet sich jeder vom Manipulativen und vom Künstlichen ab.

 

Das Internet hat die Bürger hinsichtlich der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung wirklich frei gemacht und das bringt die institutionellen Medien unter Zugzwang. Selbiges gilt natürlich auch für die Politiker: das Internet zwingt sie, sich klarer und deutlicher zu bekennen. Sie müssen endlich aufhören, nur Etiketten zu produzieren.

 

Für die Medien scheint überlebenswichtig, dass sie aus dem Einflussbereich der politischen Parteien (Inserate!) kommen. Das müssen sie selber wollen und schaffen, denn natürlich möchten politische Lobbies immer möglichst viel Einfluss in der Medien-Szene haben. Und natürlich geht es auch immer um Finanzierung.

 

Es besteht derzeit also ein Circulus vitiosus, der nur durch die Medienmacher selber aufzubrechen ist. Und nicht zu vergessen: Es geht um ihr eigenes Überleben. Das institutionelle und politisch berichtende Medium von heute ist also nicht nur ein Survival Camp für Politiker, sondern auch eines für die Polit-Journalisten selber geworden.

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