Die Tyrannei der Werte

In der Debatte um die Migrationskrise und deren Auswirkungen auf Europa ist immer wieder die Rede von den europäischen Werten. Gerne wird von den EU-Granden und den diversen Regierungs-Chefs darauf verwiesen, dass Migranten, die sich nicht an diese Werte halten, keinen Platz in Europa hätten. Aber was genau sind diese dauernd beschworenen Werte und wer bestimmt sie? Wie werden sie festgelegt und wie werden sie gelebt?

 

Zunächst muss man definieren, was der Begriff "Wert" bedeutet. Ein Wert ist immer etwas willkürlich gesetztes und jede Wert-Setzung bedingt daher, dass damit auch eine Wert-ung stattfinden muss. Die Setzung der Werte kann daher niemals alle Werte als gleich-wertig betrachten, denn sonst wären es ja keine Werte, sondern nur nihilistische Worthülsen ohne Sinn und Zweck. 

 

Anders gesagt: Es muss für jeden, der wertet, schlechtere und bessere Werte geben und höhere und tieferstehende. Und der Wertende muss das auch klar aussprechen und zu seinen Werten stehen: Mein Wert ist höher als Dein Wert. Daraus entsteht dann jene Leit-Kultur, an die sich jeder im nämlichen Kulturraum Befindliche anzupassen hat.

 

Würde der Werte-Diskurs redlich geführt und würden die europäischen Werte (die gleich noch genauer zu besprechen sind) echte Inhalte und die höchste Gültigkeit haben und eben als die besten Werte gelten, die demzufolge auch zu verteidigen sind, so müsste die EU jedem kulturfremden Ankömmling das Bekenntnis zu diesen Werten abverlangen, schriftlich und eidesstattlich. Wer das nicht täte, dürfte gar nicht erst herein. Festgelegte und klare Werte sind nicht disponibel und nicht zu verhandeln. Ausser man hat die falschen oder die schwächeren als die je Anderen.

 

Und damit beginnt die chronische Malaise und das letztlich selbstzerstörerische Dilemma Europas. Die EU rühmt sich vor allem der "Toleranz" , der "Menschlichkeit" und der "Liberalität" als ihrer höchsten Werte.  Schon beim Benennen dieser Werte stolpern die EU-Propagandisten aber in die selber gestellte Falle und müssen unters Joch dieser Begriffe, die sie zu ihren Werten erhoben haben: Die Toleranz an sich ist kein Wert, sondern eine Haltung und wenn sie trotzdem als Wert gesetzt wird, knebelt sie sich und alle anderen dazu fantasierten eigenen Werte sofort selbst.

 

Die Begründung ist einfach: Wer Toleranz als Wert setzt und diesen dann noch hoch bewertet, muss immer auch andere Werte als nur die eigenen zulassen, das verlangt diese Wertung. Und zwar müssen dann sogar solche Werte, die den Wert "Toleranz" konterkarieren, akzeptiert werden. Wir sehen den Beweis dieser gelebten und destruktiven Unsinnigkeit tagtäglich in den Nachrichten und wir spüren die monströse Absurdität der bereits tabuisierten Toleranz-Wertung regelmäßig im Alltag. Habt doch Verständnis und Toleranz für andere Kulturen und Menschen! Mit diesem und ähnlichen Sätzen müssen die Toleranten die stetige Flucht nach vorne antreten, denn die Toleranz gestattet alles - nur das Zurück, das erlaubt sie ganz und gar nicht.

 

Die "Menschlichkeit" als Wert ist überhaupt ein schwammiger und sinnentleerter Ausdruck, mit dem man alles und jedes rechtfertigen kann. Sogar Rechtsbrüche wie die Grenzöffnung 2015 kann man damit legitimieren. Böse formuliert: Wer am lautesten nach Menschlichkeit schreit, der hat unlautere Absichten. Als Wert taugt sie nicht, die Menschlichkeit, aber als Eigenschaft ist sie ohnehin jedem Menschen, der Gefühle und Verstand hat, zu eigen.

 

Auch der Wert "Liberalität" ist keiner, von dem man nachhaltig zehren kann. Liberal kann eine bestimmte Politik sein oder eine Volkswirtschaft, aber kein Kontinent und kein Staatenbund, der nicht einmal eine gemeinsame Verfassung hat. Wenn dieser Wert namens "Liberalität" erlaubt dass illiberale Gesinnungen und Religionen genauso ausgelebt werden dürfen wie liberale (und das lässt Liberalität als Wert definitiv zu), so wird dem Konflikt sofort die Arena eröffnet. Die Wertungen prallen im so toleranten und liberalen EU-Gebäude aufeinander und müssen sich dort am Ende bis zum Äussersten bekriegen.

 

Das Setzen von authentischen Werten bedingt nämlich auch, dass man andere Werte als die eigenen bekämpfen, ja letztlich sogar vernichten muss. Wertung ist immer auch Zerstörung. Und wo Werte sind, ist Krieg nicht fern. Als Heimstätten postmoderner und ausdifferenzierter Gesellschaften haben sich die europäischen Staaten im Wissen um diese fundamentale Werte-Problematik einst hoffnungsvoll zu den diffusen Schlagworten Liberalität, Menschlichkeit und Toleranz bekannt.

 

Die von den Weltkriegen verschreckten  Kultur-Optimisten der frühen Jahre vermeinten, die europäischen Menschen könnten mit diesen Werten nach all den üblen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts im "Projekt EU" ihr Glück auf Erden finden. Das oberste Ziel der Union war die Erhaltung des Friedens. Dass der Preis für diese pazifistische Phantasie nun die Unterwerfung sein wird, konnte ja keiner ahnen. Oder doch?

 

Spät ist es jedenfalls, sehr spät. Die ermattete und degenerierte EU kann dieser ihrer selbst gemachten Werte-Tyrannei offenbar nicht mehr entkommen. Sie hat durch ihre Selbstschwächung auch niemandem etwas entgegenzusetzen. Die eigenen, sich selbst lähmenden "Werte" eröffnen dafür all den anderen, die mit Macht ihre Werte durchsetzen wollen, jeden nur erdenklichen Raum.  Die Europäer konnten diese Räume bisher nur mit Willkommensgrüßen schmücken. Ob sie durch eine Umwertung ihrer Werte noch einmal zu alter Kraft zurückfinden können?

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Kommentare: 5
  • #1

    Hans Kolpak (Dienstag, 04 Oktober 2016 09:55)

    „Wo immer gewohnte Verhaltensmuster von Zuwanderern mit den hiesigen Gesetzen kollidieren, gelten selbstverständlich unsere Regeln – ausnahmslos!“ sagte Norbert Lammert in seiner Festrede zum 3. Oktober 2016. Das sind zwar klare Worte, doch verfehlen sie ihre Wirkung bei Menschen, die keinerlei Respekt vor Polizisten haben und die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland mit Füßen treten.

    Die Früchte einer Geisteshaltung
    Ideologisch verblendete Menschen gelangen zu lebensfremden Forderungen. Kleine Kinder wachsen in diesem Umfeld auf und sind außerstande, das ihnen vermittelte Weltbild zu hinterfragen. Fehlender Respekt vor anderen Menschen und ihrem Eigentum ist für viele normal geworden und setzt die Hemmschwelle, kriminell zu handeln, erheblich herab.

    Ein Amtsrichter fand klare Worte, als er ein Strafmaß begründete: „Es sei sehr schwierig, die Täter aus der Kölner Silvesternacht zu ermitteln, so gerne man diese auch zur Rechenschaft ziehen würde. Wenn man – wie in dem Fall – einen Angeklagten ermittelt habe, dürfe es allerdings nicht sein, ihn stellvertretend ‘an einem Baum aufzuhängen’ und ein ‘dem Pöbel gefälliges Urteil zu fällen.’ Stattdessen seien andere für die Situation verantwortlich: ‘Es ist nicht Aufgabe der Strafjustiz, Versäumnisse von Innenministern und Verwaltungsbehörden aufzufangen.’ “

    Wer ist Pöbel? Wer ist Opfer? Wer ist Täter? Wenn es sich jedoch herumspricht, dass Kriminelle die Opfer entschädigen müssen, werden sie sich eher nach einem anderen Geschäftsmodell umschauen. Denn Gefängnisaufenthalte sind eher kontraproduktiv und kosten sehr viel Geld. Gewiss, Juristen machen sich Gedanken über Intensivtäter, ganz besonders über jugendliche Intensivtäter.

    Doch - ist Kriminalität etwa neu? Es gab sie auch schon 1945, als die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde und in vergangenen Jahrtausenden sowieso. Vielleicht sollten diese Experten einmal untersuchen, was in den Jahren 1871 bis 1914 anders war. Die unselige Rolle von politischen Parteien und von Bürokratismus zu unterschätzen, ist ein Systemfehler, der sich im Jahr 2016 bitter rächt.

    Unter dem Thema „Die offene Gesellschaft muss sich ihren Gegnern stellen“ schrieb Wolfgang Schäuble am 3. Oktober 2016: „Und natürlich sind der spätestens seit diesem Sommer auch in Deutschland angekommene islamistische Terrorismus, sexuelle Übergriffe durch Migranten oder Flüchtlinge genauso wie die zunehmenden fremdenfeindlichen und rassistischen Ausschreitungen eine zusätzliche Belastung der Atmosphäre. ... Das allermeiste, was wir in unserer Gesellschaft eigentlich nicht wollen, erleben wir auch von Bürgern mit ziemlich wenig Migrationshintergrund – von mangelndem Respekt gegenüber Lehrern oder Polizisten bis hin zu abstoßendem Verhalten ganz allgemein in der Öffentlichkeit.“ Es bleibt also dabei: Verallgemeinerungen führen in die Irre.

  • #2

    Martin H. (Dienstag, 04 Oktober 2016 12:33)

    Diese "Werte" erledigen sich von selbst. Sie dienen nur der Abschaffung der europäischen Völker!

  • #3

    Axel (Dienstag, 04 Oktober 2016 13:05)

    Genau meine Rede. In einem Land, in dem Millionen von Tieren erbärmlich gehalten und bestialisch geschlachtet werden, nur um für 2 Min sagen zu können :"Mmmh, das hat aber lecker geschmaust!" hat niemand das Recht, sich auf "humanitäre Werte" berufen zu dürfen. Wer millionenfaches Leid ohne mit der Wimper zu zucken tolleriert (Für die Moslems sogar noch ohne Betäubung-Halal eben), und für Flüchtlinge Mitgefühl einfordert, ist in meinen Augen ein Heuchler und emotionaler Erpresser, der mich moralisch unter Druck setzen will.
    Ausserdem wird hier die Argumentationskette umgedreht. In dem wir Millionen Flüchtlinge aus dem islamischen Kulturkreis unkontrolliert ins Land lassen, verteidigen wir nicht unsere Werte, sondern liefern sie der Zersetzung aus. In einem Land, wo Volksfeste nur noch durch Security beschützt werden können, hunderte Frauen sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind, man Nachts besser nicht mehr alleine durch eine Großstadt geht und Christen in Flüchtlingsheimen physisch attackiert werden, ist unsere Lebenskultur bereits durch archaische gewaltverherrlichende Strukturen ersetzt worden.
    Mir das alles noch als "Verteidigung unser christlichen Wertegemeinschaft" verkaufen zu wollen ist eine bodenlose Unverschämtheit oder grenzdebiler Wahnsinn.

  • #4

    Gernot Kröslin (Dienstag, 04 Oktober 2016 15:12)

    Gut, daß die ersatzreligiösen Worthülsen von Würde, Wert, Menschlichkeit, Toleranz usw. nun endlich auf breiter Front angegangen werden. Schade nur, daß die Bemühung um den Begriff des Wertes hier zu kurz kam. Der Wert als Ergebnis der Wertung, einer gesellschaftlichen Reflexion von Gütern mit ihren Beschaffenheiten und Leistungen mit ihren Ergebnissen ist abstrakt und nichtgegenständlich, jede Person wertet an sich auf ihre Weise. Der Wert als Abstraktum kann sich nur wieder in anderem Gegenständlichen ausdrücken, das damit sein Preis ist. Wie alle Materien in einer zusammenfließen, gibt es statt "der Werte" im westlichen System nur noch den EINEN Wert, der immer seinen Preis hat - ALLES ist also käuflich und veräußerbar geworden. Toleranz und Liberalität dienen dem In-Verkehr-Bringen auch noch der allerletzten Existenzen, Gruppen, Ländereien usw. der Welt. Dagegen das Deutsche Volk, seine Kultur, sein Leben, seine Tugenden und Schwächen kann kein Gegenstand von Wertungen sein, ist also tatsächlich wertlos, was dasselbe ist wie "unendlich wertvoll". Was um seiner selbst existiert oder existieren soll, hat eine Würde, die nicht veräußerbar und auch nicht diskutierbar ist. Tugendhaftigkeit (=Gemeinschaftssinn) und Wertlosigkeit läuten das Ende der Vermüllung ein.

  • #5

    Josh R. (Dienstag, 04 Oktober 2016 19:52)

    Das was als "Menschlichkeit" und verwandte Begriffe bezeichnet wird, ist in der Bibel als das Liebe-deinen-Nächsten-Gebot formuliert.
    Gefordert wird also ausdrücklich nicht, *alle* Menschen zu lieben, sondern eben die Nächsten - weil sich diese "Liebe" ansonsten in schwammiger Abstraktion auflösen würde.
    Wie richtig festgestellt, sind das an sich keine Werte (Werte an sich gibt es nicht), sondern „nur“ Forderungen/Maximen/Normen/Eigenschaften – die man jedoch als Wert setzen und nutzen kann...

    Allerdings: >>>Die Setzung der Werte kann daher niemals alle Werte als gleich-wertig betrachten...<<<

    Doch, warum nicht? Natürlich kann ich (oder ein Kollektiv) bestimmte Eigenschaften/Normen usw. auf einer Werteskala auf der gleichen Höhe anordnen, ja ich kann sie sogar als absolut und nichtaufhebbar festlegen/definieren. Das ist im Prinzip auch mit „allen Werten“ möglich, wenn sicherlich auch nicht sehr sinnvoll.
    Das Problem ist eher, dass so etwas (ein abgestufter Wertekanon) in einem größeren Kollektiv praktisch nicht möglich ist. Deshalb ist die „Wertediskussion“ nur ein Instrument im Kampf der Ideologien...


    @ G. Kröslin

    >>Was um seiner selbst existiert oder existieren soll, hat eine Würde...

    Das wäre ein bisschen zu einfach bzw. beliebig bzw. ist missverständlich. 1. existiert alles bzw. Alles um seiner selbst willen. 2. entstehen die "Dinge" im Alles erst durch Abgrenzung aus der Einheit des Seins.
    "Würde" kann eigentlich nur so verstanden bzw. definiert werden, das sie nur einem Subjekt zukommt; ja in gewisser Hinsicht grenzt sie „Subjekt“ und „Objekt“-(sein) voneinander ab. Deshalb lautet die erste Ausssage im GG nicht: Die Würde des Menschen darf nicht angetastet werden, sondern: sie "ist unantastbar" - eben weil jeder Mensch quasi automatisch Subjekt ist, und das nicht aufhebbar ist. Wer versucht (einen) Menschen zum Objekt zu machen, greift zwar dessen Würde an, doch kann er sie diesem nicht nehmen, weil er keinen Zugriff darauf (auf das Subjekt-sein) hat. Denn Subjekt sein bedeutet letztendlich, Geist bzw. geistiges Wesen sein. Würde ist damit eine Schlüsseleigenschaft des Geistes. Die kann übrigens durchaus graduell sein, denn sie ist in gewisser Hinsicht an die Selbstrefelexionsfähigkeit, also Bewusstheit geknüpft.