Das Kreuz mit den Werten

In Bayern ist am 1.Juni 2018 der sogenannte Kreuzerlass in Kraft getreten: In allen öffentlichen Gebäuden müssen sichtbar Kreuze montiert sein, so wollte es der bayrische Ministerpräsident Markus Söder. Diese seine Entscheidung sorgte für Diskussionen quer durch alle Lager, auch ausserhalb von Deutschland.

 

In Österreich gibt es übrigens schon seit langer Zeit eine ähnliche Verpflichtung: Wir haben die gesetzliche Verordnung, das Kreuz in den Gerichtssälen sichtbar aufzuhängen. Dasselbe gilt für die öffentlichen Schulen, wenn die Mehrheit der Schüler Christen sind. Demzufolge gibt es auch hierzulande immer wieder Debatten um das Kreuz.

 

Das Kreuz als Streitobjekt

Obwohl das Kreuz nicht nur ein religiöses, sondern auch (oder heute sogar vor allem) ein "kulturgeschichtliches Symbol der abendländischen Geistesgeschichte ist" (so der österreichische Verfassungsgerichtshof 2011), scheiden sich daran die Geister und viele Interessengruppen versuchen, durch ihr Pro bzw. Contra aus dem Thema politisches Kapital zu schlagen. Andere wiederum wollen ihre Identität an der Zustimmung zum Kreuz  respektive an dessen Ablehnung schärfen. Das betrifft auch die christlichen Kirchen. Die einen Würdenträger begrüßen die Kreuze im öffentlichen Raum, andere hingegen kritisieren diesen Usus und halten ihn für einen politisch motivierten Missbrauch des Kreuzes. Dementsprechend erging es auch dem bayrischen Ministerpräsidenten: Er erntete Lob und Tadel für seinen Akt.

 

Markus Söder begründete seinen Erlass vor allem mit der okzidentalen Symbolik des Kreuzes und mit den Werten, die es vermittelt. Damit sind wir aber auch schon mitten in der fundamentalen europäischen Werte-Debatte, die von zahlreichen noch immer unbeantworteten und teils noch gar nicht offen ausgesprochenen Fragen geprägt ist. Diese eminent wichtige, weil existenzielle Diskussion wird meist nur überaus vorsichtig, oft verschämt und häufig intellektuell ziemlich unsauber geführt - weil man seitens der sogenannten Opinion-Leader ständig in der Angst lebt, man könnte jemanden beleidigen, diskriminieren oder sonst irgendwie unangenehm auffallen.

 

Auch diese merkwürdige Glacéhandschuh-Attitüde hat mit unseren Werten zu tun, wie wir später sehen werden. Jedenfalls schimmert die von Nietzsche diagnostizierte "Sklavenmoral" hinter so vielen Äußerungen von europäischen Politikern und Kommentatoren hervor, dass wir uns fragen müssen, ob das Fundament, auf dem wir stehen, nicht einer wahrlich tiefgreifenden Generalüberholung bedarf. 

 

Werte? Welche Werte?

Was genau macht eigentlich die europäischen Werte aus? Unsere hochgelobten und in jeder Sonntagsrede akklamierten Werte sind ja ihrer Entstehung nach untrennbar zunächst mit dem Christentum und dann mit der Aufklärung verbunden. Wie soll heute ein erklärtermaßen säkularer Staat mit den religiösen Symbolen, die 1500 Jahre lang seine zentralen Identifikations-Kondensate bildeten, umgehen? Muss nicht das Kreuz in logischer Konsequenz unserer Geschichte den öffentlichen Raum symbolisch dominieren? Andererseits muss man natürlich dabei immer fragen: Wie weit kann und soll man Kultur, Geschichte, Politik und Religion trennen oder zusammenführen - gerade in unseren Zeiten, wo die europäische Identität nur noch auf wackeligen Beinen steht? Wie gehen wir mit den paradoxen Folgen des aus der Aufklärung hervorgegangenen Liberalismus um, der zu einer ständig wachsenden Beliebigkeit führt und in Folge einer völligen kulturellen Selbstauflösung Tür und Tor öffnen könnte?

 

Der lange Arm der Französischen Revolution

Eine wesentliche Ursache der heutigen Werte-Problematik stellen die Folgen der Französischen Revolution dar.  Der anno 1789 aufgekommene Kampfruf nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit hat heute nämlich noch immer Wirkungskraft. Obwohl die Freiheit und die Gleichheit ein Gegensatzpaar darstellen, haben diese beiden Kategorien das europäische Denken vollständig durchdrungen und man vermeint, beiden simultan zur immerwährenden Durchsetzung verhelfen zu müssen. Ständig versuchen wir, neue Freiheiten für die Individuuen zu erschaffen und permanent soll die Gleichheit aller Bürger vorangetrieben werden. Unter den Tisch fällt dabei das Faktum, dass die Gleichheit immer auf Kosten der Freiheit geht und die Freiheit im Grunde zwingend Ungleichheit bedeutet. 

 

Die wohlklingenden Werte

Als zentrale europäische Werte gelten laut EU-Deklaration neben der Freiheit und der Gleichheit die Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte. Diese so schön klingenden Begriffe haben allesamt die tückischen Eigenschaften, dass man sie einerseits wunderbar bei jeder Gelegenheit bemühen, andererseits aber immer auch für fragwürdige politische Zwecke missbrauchen kann. Und ihre Einhaltung bzw. ihre Verletzung ist mangels klarer Definitionen und mangels geeigneter Gesetze nur schwierig justiziabel.

 

Dehnbar wie Gummi

Wir haben es mit einer Art von Zauberlehrlings-Phänomen zu tun: Die Freiheiten des Individuums und die Ansprüche der verschiedenen Interessengruppen auf Gleichheit sind gerade durch die Dehnbarkeit unserer Werte zu einem weder begrenz- noch beherrschbaren Phänomen geworden. Jede x-beliebige Minderheit und jeder siebente Zwerg von links kann sich heute unter Berufung auf die Anti-Diskriminierungsgesetze jede beliebige Freiheit oder jedes erdenkliche Recht wünschen - und er wird es früher oder später im Namen der Gleichheit auch bekommen. Die stets entrüsteten Menschenrechtskämpfer sorgen schon dafür - im Notfall mit Klagen beim EUGH.

 

Das Dilemma der europäischen Werte und die Schwäche, die daraus entsteht, ist gerade bei der Frage der Freiheit und der Gleichheit am klarsten erkennbar. Sehen wir uns angesichts dieses Dilemmas zunächst einmal die Religionsfreiheit an.

 

Religionsfreiheit als Risiko

Glauben kann jeder, was er will. Aber nur die eingetragenen und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften finden öffentliche Beachtung. Durch die staatliche Anerkennung wird diesen Religionen der Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts zugestanden. In Österreich zählen wir derzeit 16 solcher Gemeinschaften.

 

Unter diesen anerkannten Religionen ist seit 1912 auch der Islam zu finden. Nun zeichnet sich gerade diese Religion aber dadurch aus, dass sie im Kern eine die gesamte Gesellschaft durchdringen wollende und auf permanente Ausdehnung fokussierte Weltanschauung ist, die bis jetzt keine konkrete Anpassung an die europäischen Werte-Bedingungen erfahren hat. Diese wird sie auch kaum je erlangen, wenn man den maßgeblichen Islamologen Glauben schenkt.

 

Der Grund für diese Resistenz ist einfach: Der Koran ist aus Sicht der Muslime das Wort Gottes und nach islamisch-theologischer Lesart gibt es für die Menschen kein Recht, in irgendeiner Weise Veränderungen am Wort Gottes vorzunehmen. Was geschrieben steht, das ist zu befolgen. Der Islam ist demnach ein geschlossenes System,  das nicht verhandelbar ist. Diese Gegebenheit ist theologisch nachvollziehbar, weil eine Religion eben ist, wie sie ist. Die gegenständlichen Glaubensinhalte stellen aber den europäischen Werte-Katalog bzw. dessen Hüter vor ganz klare und peinliche Fragen, die bis dato ohne wirkliche Antwort geblieben sind.

 

Wie lauten die Fragen?

Zunächst muss gefragt werden: Inwieweit kann in Europa einer Religion, die in einigen wesentlichen Punkten substanziell den Grundwerten widerspricht und laut hochrangiger Juristen deswegen auch in vielerlei Hinsicht nicht mit dem deutschen Grundgesetz oder der österreichischen Verfassung vereinbar ist, die ihr laut europäischem Werte-Katalog zustehende Freiheit gewährt werden?

 

Zerrütten die EU-Staaten damit nicht genau die Werte, die sie für unabdingbar halten? Und warum ist die EU zu feige und zu schwach, sich dieser notwendigen und prinzipiellen Auseinandersetzung zu stellen? Die Antwort ist paradox: Auch diese Feigheit ist eine Art sekundärer Wert, weil sie eben jenem Werte-Kanon entspringt, den seine Hüter für den Heiligen Gral der EU halten: Toleranz, Religionsfreiheit, Menschenrechte etc. gelten für jeden. Man dreht sich also gerade bei den heiklen Fragen im Kreise, wohl wissend, dass mit jedem Tag, an dem man neuerlich eines unserer Argumentationslöcher mit einem anderen stopft, jeder schwelende Konflikt nur noch verstärkt wird.

 

Ein Gesetz als Notnagel

In Österreich wurde infolge dieser ans Eingemachte gehenden Fragestellung, die natürlich jedem, der sich ein wenig näher mit der Materie befasst, ganz klar bewusst ist, 2015 ein spezielles Islam-Gesetz erlassen. Gelöst wurde mit der österreichischen Islam-Gesetzgebung aber eigentlich nichts, denn das Gesetz bietet jede Menge Schlupflöcher und ist im Grunde nicht geeignet, die fundamentalen Fragen zu beantworten. Genauso wenig bewirken die in der Öffentlichkeit bekannten liberalen Muslime, die zwar fleißig und fast schon verzweifelt ihre Meinungen publizieren und die einen aufgeklärten Islam herbeisehnen. Aber de facto stellen sie eine Minderheit dar und haben auf die Imame und die Mullahs wenig bis keinen Einfluss. Die reine Lehre kennt zwar viele Variationen und es gibt auch den blutig geführten Widerstreit zwischen Schiiten und Sunniten, aber der Koran ist in seinem Kern und in seinen Auswirkungen für das tägliche Leben wie erwähnt nicht veränderbar. Da sollten wir uns nichts vormachen.

 

Vom Randphänomen zur Kardinalfrage

Bis zum Beginn der Massenmigrationskrise 2015 war diese Problematik ein Randphänomen, das nur Interessierte berührte, obwohl der Samen, der zur jetzt wachsenden Konfliktsituation führt, schon vor langem gesetzt wurde. Nachdem die demographischen Zahlen und Daten heute aber eine klare Sprache sprechen und wir wissen, dass speziell in den jüngeren Alterskohorten der Islam von einer wenig wahrgenommenen Minderheiten-Religion zum demonstrativ gelebten Glauben einer immer größer und anspruchsvolleren Community geworden ist, rückt die hier angesprochene Grundsatzfrage in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Wir bieten einstweilen mit ein wenig Bauchweh weiterhin die Religionsfreiheit an und hoffen auf ein Wunder statt die Situation zu klären. Die anderen haben diese Freiheit gerne angenommen und betrachten sich als der Gleichheit entsprechend mindestens ebenbürtig und sehen ihre wachsende Religion nun als Auftrag für mehr.

 

Und das Kreuz?

Damit zurück zum Kreuz. Die Frage lautet letztlich nicht, ob es sinnvoll ist, Kreuze aufzuhängen und damit zu demonstrieren, dass es noch ein Abendland gibt. Diese Frage ist längst beantwortet: Klar ist das sinnvoll und auch argumentativ umfassend begründbar. Hier ist Europa und im Kreuz steckt alles drin, was die okzidentale Kultur ausmacht. Daran ändern auch verbissene Atheisten und bedingungslose säkular denkende Anhänger der Aufklärung nichts. Mann kann nicht nur die widersprüchlichen Botschaften der Französischen Revolution zur Polit-Maxime erheben, damit scheitert man erst recht.

 

Am Ende das Neue

Die wirkliche Frage lautet am Ende: Wie kann ein Staatenbund wie die EU unter diesen Bedingungen, die sie sich selber auferlegt hat, als Werte-Gemeinschaft überleben, wenn aufgrund der paradoxen Auswirkungen ebendieser Werte bereits ein rasch ablaufender Erosions- und Abbauprozess eingesetzt hat? Wie kann die oben beschriebene sekundäre Feigheit gestoppt werden? Wie kann in diesem Dilemma überhaupt eine haltbare EU-Identität erarbeitet werden?

 

Gemeinsam geht das alles vermutlich gar nicht, denn die einzelnen Kulturkreise und Nationen streben im Grunde gerade in dieser Frage teils deutlich auseinander. Mit dem deutschem Schuldkomplex und dem hypermoralischen Pathos, der uns aus Berlin und aus fast allen deutschen Feuilletons entgegenquillt, mag man im Übrigen als Nachbar und EU-Partner nichts mehr zu schaffen haben.

 

Das heisst: Die EU wird wohl wieder eine reine Wirtschaftsunion werden müssen und ihre Mitglieder können die drängenden Fragen dann selber lösen, so wie das bereits Dänemark, Italien, Österreich oder schon länger die Visegrad-Staaten tun.

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Wilhelm Scheidl (Montag, 30 Juli 2018 13:00)

    Wir haben ein Kreuz mit der EU, mit ihr wurde ein zusätzliches Kreuz geschaffen. Die EU ist eine riesige Macht- und Umverteilungsorganisation, die nur für eine kleine, unproduktive Minderheit geschaffen wurde. Die Probleme, die Politiker verursachen sind auf nationaler Ebene noch überschaubar und potenzieren sich je größer eine Organisation wird.
    Die Wenigen, die die Macht dazu haben, dieses unmenschliche und verbrecherische System zu ändern, werden bedroht und eliminiert.
    Dezentralisierung und das Subsidiaritätsprinzip haben die Kultur in Europa geprägt. Das ist der richtige Weg, auf den wir wieder zurückkehren müssen, wenn wir in Freiheit überleben wollen.

  • #2

    Hans Reuter (Mittwoch, 01 August 2018 15:05)

    Haben wir wirklich einen säkularen Staat? Ich würde sagen definitiv nicht. Van Rompuy sagte einmal in Bezug auf die EU, wir sind alle Jesuiten. Neben den Jesuiten spielt natürlich ebenfalls die Freimaurerei eine wichtige Rolle im politischen Geschehen. Auch diese Gruppe mit ihren salomonischen Ersatztempeln ist als "religiös" zu betrachten. Hier ist aber der entscheidende Punkt auf wen diese Gruppen bezogen sind und hier geht es darum den religiösen Betrug hinter der Sache zu erkennen.